1. Juli 2025
01.Juli 2025
Es gibt in Deutschland keine staatlich anerkannte Ausbildung zum Lektor, weshalb es sich auch nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung handelt. Oder anders gesagt: Jeder kann sich so nennen, der das möchte. Daher entfallen allgemein festgelegte Qualitätskriterien, die mit der Berufsausübung verbunden sind. Für freie Lektoren fehlen zahlreiche Vorteile, die sich aus der Mitgliedschaft in einer Kammer ergeben. Jeder Interessent, der einen freien Lektor beauftragen möchte, muss sich auf seinen subjektiven Eindruck verlassen, ob dieser vertrauenswürdig ist oder nicht.
Der klassische Berufseinstieg erfolgt nach einem Studium im Rahmen eines Volontariats oder als Trainee im Verlag. Die Dauer beträgt 12 oder 24 Monate. Ich habe sofort als Verlagslektorin begonnen, aber nur, weil ich bereits während des Studiums an mehreren wissenschaftlichen Buchprojekten der Uni maßgeblich beteiligt war. Es gibt auch freie Lektoren, deren Quereinstieg nicht über den Verlag erfolgt ist, im besten Fall handelt es sich um Übersetzer, Journalisten oder Autoren.
Manche freie Lektoren verweisen auf ihr Zertifikat der Akademie der deutschen Medien in München. Das ist jedoch nur die Bestätigung der Teilnahme an einem bezahlten Seminar für Berufseinsteiger, die nichts über deren Qualifikation aussagt.
Mein Start als Lektorin begann in zwei namhaften Buchverlagen. Überrascht hat mich seinerzeit ein Arbeitsumfeld wie in einer Agentur oder einem Architekturbüro, denn der Leistungs- und Zeitdruck hätte wie dort nicht höher sein können. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Die Branche erwartet häufig von angestellten Lektoren, deutlich mehr als 40 Stunden zu arbeiten – ohne einen Freizeitausgleich oder eine Vergütung der Überstunden. Aktuelle Angaben zum Gehalt schwanken erheblich, eher selten imponiert es. Positiv kann hingegen der kollegiale Zusammenhalt sein.
Im eigenen Lektorat zu arbeiten, bietet viele Vorteile. Meine Aufmerksamkeit gehört rundum dem Autor, seinem Thema und seinem Werk. Diese Konzentration kommt nicht zuletzt der Textqualität zugute. Außerdem entscheide ich frei über Pausen- und Urlaubszeiten. Das ist wichtig, denn ein ausgeruhter Zustand trägt bei Lektoren genauso zur Qualitätssicherung von Leistungen bei wie bei anderen Menschen. Nicht zuletzt kann ich Meetings mit Kunden in konstruktive Gespräche verwandeln, um die Zeit effizient zu nutzen.
Doch nicht jeder ist für ein selbstbestimmtes Arbeiten geeignet, das vor allem viel Disziplin, höfliche Umgangsformen und unternehmerisches Denken erfordert. Notwendig sind zudem ein gutes Zeitmanagement und eine zuverlässige Kalkulation für Angebote. Um seine eigene Weiterbildung muss man sich ebenfalls kümmern. Im Laufe der Zeit habe ich mit Bedauern verfolgt, wie sogar erfahrene Kollegen aufgeben mussten, weil die Selbstständigkeit für sie nicht die optimale Arbeitsform war. Mein eigener Erfolg ist alles andere als selbstverständlich.
Die Künstlersozialkasse kann über die Anzahl hauptberuflicher freier Lektoren in Deutschland zuverlässig Auskunft geben: 2017 waren es rund 2.500, 2023 lag die Zahl bei 2.420. Zusätzlich dürfte eine relativ große Anzahl von Personen nebenbei als „Lektor“ arbeiten. Zwar bin ich kein Hellseher, eine Prognose wage ich dennoch. Das Arbeitsumfeld wird schwieriger. Daher mein Tipp an wild entschlossene Berufseinsteiger: Neben dem Ziel, Lektor zu werden, ist ein Plan B empfehlenswert.