3. Februar 2025
03.Februar 2025
In der Weimarer Republik entstanden natürlich auch neue Wörter, die nicht aus der NS-Propaganda stammen. Wie heftig die Öffentlichkeit auf ein vermeintliches Nazivokabular reagiert, bekam die Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein im Jahr 2010 zu spüren. Damals verwendete sie die umgangssprachliche Wendung „innerer Reichsparteitag“. Es folgte eine Flut von Zuschauerprotesten. Gemeint war nur: eine große Genugtuung, ein Triumph. Der Ursprung dieser Formulierung ist nicht sicher geklärt. Sie soll wohl ab 1933 unter Studierenden entstanden sein, die sich über die pompöse Selbstdarstellung der Nazis amüsierten. Später ging sie dann in die Umgangssprache ein. Doch das wissen viele nicht.
Für eine Buchpublikation sollte ich als Lektorin einmal ein Glossar von NS-Begriffen erarbeiten. Rasch stellte sich die Frage: Welche Wörter dürfen im Text als historische Begriffe vorkommen und welche müssen zur Kennzeichnung, dass man sie heute nicht mehr verwenden sollte, in Anführungszeichen gesetzt werden? Das war schwieriger als zunächst gedacht. Das „Reichstagsgebäude“ und das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ beispielsweise hießen ja tatsächlich so. Eine Differenzierung ist sinnvoll: Zum einen haben die Nazis neue Wörter erfunden, zum Beispiel das Substantiv „Kulturschaffende“ oder das Verb „totkriegen“. Beide sind noch immer üblich. Zum anderen haben die Nazis bestehende Begriffe mit einer neuen Bedeutung versehen, zum Beispiel „Aktion“. Mit diesem Wort sollten laut Anweisung von Propagandaminister Joseph Goebbels zunächst die gewalttätigen Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung 1938 bezeichnet werden. Später meinte „Aktion“ außerdem die Ermordung von Menschen mit Behinderung und die Räumung von Ghettos.
Bei „entartete Kunst“, „Rassenschande“, „Gleichschaltung“, „Reichskristallnacht“, „Drittes Reich“ oder „Entjudung“ beispielsweise ist es einfach, Anführungszeichen zu empfehlen, weil sie eindeutig auf die Nazipropaganda zurückgehen. Bei „Arier“ entscheidet der Zusammenhang, ob es ideologisch um „reinrassige“ Deutsche geht oder um das frühgeschichtliche Volk. So auch bei „Sonderbehandlung“: Entweder ist von einer Ermordung oder von einer Bevorzugung die Rede. Doch was tun mit Zweifelsfällen? Der Blick in den Duden lohnt sich immer, am besten online. Findet sich hier oder im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache der Hinweis „Gebrauch nationalsozialistisch“, sollte das betreffende Wort in Anführungszeichen stehen.
Zitate aus der Nazipropaganda öffentlich zu verwenden, ohne sie als solche kenntlich zu machen, ist eine Straftat. Gerichte entscheiden darüber, ob jemand offiziell als „Nazi“ bezeichnet werden darf. Auch die Verbreitung der ehemaligen Parole der Nazis „Alles für Deutschland!“ ist beispielsweise strafbar.
Der Sprach- und Literaturwissenschaftler Victor Klemperer (1881–1960) war der Erste, der die Sprache der Nationalsozialisten analysierte, und zwar als Zeitgenosse. Zurückgezogen und immer in Angst, entdeckt zu werden, verfasste er sein Buch „LTI – Lingua Tertii Imperii“ (Sprache des Dritten Reichs), das 1947 erschien – ein beeindruckendes Dokument seiner Zeit und inzwischen ein Standardwerk.
Henning Lobins Buch „Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert“ von 2021 gibt einen wohltuend sachlichen Einblick, wie in der gegenwärtigen politischen Lage bestimmte Politiker in Deutschland die Sprache für ihre Zwecke einsetzen. Sehr empfehlenswert!